Warum stellten in der Antike Menschen marmorne Körperteile vor Götterbildern auf? Oder hielten Bankette mit Verstorbenen ab? Warum platzieren wir heute in Andenken an jugendliche Opfer Teddybären an der Unfallstelle? Warum heiraten atheistische Paare in Marienkapellen? Ein neues Graduiertenkolleg in Erfurt und Graz soll die Hintergründe dieser rätselhaften Praktiken entschlüsseln und unsere eigene Beziehung zu Natur, Menschen und religiösen Vorstellungen aufklären. Der Österreichische Wissenschaftsfonds FWF sicherte dieser Tage die Förderung zu, damit kann das Vorhaben am 1. April 2017 starten.
„Unsere resonanten Weltbeziehungen, also die Art, wie wir auf unser Umfeld reagieren, sagt viel über unsere Kultur aus“, erklärt Althistoriker Wolfgang Spickermann, der Sprecher des Doktoratskollegs in Graz. Der Vergleich von Gegenwart und Antike soll einerseits dazu beitragen, aktuelle Praktiken aus der Geschichte heraus zu verstehen, andererseits seltsam anmutende Rituale der vergangenen Zeit rekonstruieren helfen. Von der interdisziplinären Zusammenarbeit – an der Uni Graz sind die Geisteswissenschaftliche, die Katholisch-Theologische sowie die Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät beteiligt – erwarten sich die ForscherInnen besonders innovative Ergebnisse. „Dadurch, dass wir Rituale gestern und heute in den Blick nehmen, kann die allzu leichtfertige Sichtweise auf Fremdheit als Ausfluss eines polytheistischen Weltbilds vermieden und die fremde Kultur in ihrer Eigenart ernst genommen werden“, schildert Spickermann ein wesentliches Anliegen.
Das Graduiertenkolleg „Resonante Weltbeziehungen in sozio-religiösen Praktiken der Antike und Gegenwart“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und vom FWF finanziert, die Uni Graz ist darin Partnerin des Max-Weber-Kollegs der Universität Erfurt, das das Projekt leitet. Ab Oktober werden insgesamt 24 DissertantInnen an den beiden Institutionen ihre Arbeit beginnen, nach einem Jahr tauschen sie für zwei Semester ihre Arbeitsplätze.
Erstellt von Dagmar Eklaude